
Carpe diem. Ein Sprichwort, das jeder schon mal gehört hat. „Nutze den Tag“ ist die Übersetzung, die sich im Deutschen durchgesetzt hat. Manch einer nutzt dieses Motto wohl als Lebensweisheit. Andere wiederum halten nicht viel von dieser Floskel.
Meine Meinung und Einstellung zu „Carpe diem“ im Sinne von „Nutze den Tag“ ist zweigeteilt. Einerseits ist es ja schön und gut jeden Tag auszunutzen. Andererseits bedeutet das für mich auch Stress. Warum ich so denke? Na dann, aufgepasst.
Den Tag voll auszunutzen heißt für mich diesen durchzuplanen und so viel von seinen Terminen, Ereignissen oder Erledigungen in diesen hineinzubringen, komplett strukturiert und komplett gefüllt. Zum Beispiel ohne Pause, ohne Wenn und Aber und ohne Unterbrechungen. Am Ende des Tages und nein, ich weiß nicht, wann dieses Ende überhaupt jemals erreicht ist, fällt man müde und erschöpft ins Bett. Gut, ich gebe zu, wenn man alles erreicht hat, was man sich vorgenommen hatte, schläft man wahrscheinlich zumindest zufrieden ein, aber ich denke, diese Euphorie wird sowieso nicht allzu lange anhalten.
Ich finde, das ist purer Stress. Was hat man denn davon, sich den Tag so stressig zu machen? Klar, man schafft was, aber dennoch, irgendwann ist diese Energie aufgebraucht und selbst an einem vollen Tag kann es passieren, dass man gar nicht mehr zufrieden damit ist, was man geschafft hat. Im Gegenteil: Man wird mit der Zeit immer unglücklicher und denkt sich eher: „Verdammt, ich hätte noch viel mehr schaffen können!“ oder so ähnlich.
Mal ganz ehrlich: Ich möchte mir nicht noch mehr Hektik in meinen Alltag bringen. Pausen sind notwendig für mich. Ich brauche eine Auszeit. Ich brauche eine Zeit, in der ich mal nichts tue. Eine Zeit, in der ich auch einfach mal nur liegen kann und meine Gedanken schweifen lassen kann. Ja, wegschweifen, raus aus dem Alltag, raus aus der Gesellschaft, in der alle nur Erfolg vor den Augen haben, ein Ziel zu erreichen, das viel zu hoch ist oder wenn es mal erreicht wurde, dann ist es doch nicht gut genug und ein neues Ziel wurde gesetzt.
Pausen machen, nichts überstürzen, ein Schritt nach dem anderen gehen. Mal hinsetzen und atmen. Langsam. Ein und aus. Langsam. Langsam. Wie ein Wetter. Abwarten, bis die dunklen Wolken vergehen und die neuen Wolken kommen dann ganz von alleine. Und wenn es doch zu viel ist: Kein Problem. In einer sehr schweren Phase in meinem Leben vor eineinhalb Jahren hat mal jemand zu mir gesagt: „Mach langsam. Ein Schritt nach dem anderen. In deinem Tempo. So wie es für DICH passt. Geh Schritte vor und wenn du merkst, „Oh, das war mir zu viel.“ , dann geh halt wieder einen Schritt zurück. Dann gehst du wieder mal nur einen Schritt weiter.“
Ich weiß selbst, dass das schwer ist, denn wenn ich gestresst bin, ist es sehr schwer, zur Ruhe zu kommen, aber ich schlage mir deswegen dieses blöde „Carpe diem“ aus dem Kopf, um mir den Alltag zumindest etwas zu erleichtern.
Das Problem ist dabei eigentlich, dass heutzutage „Carpe diem“ durch die Übersetzung „Nutze den Tag“ jedoch meist falsch verstanden wird. Mit „Carpe diem“ ist ursprünglich gemeint, den Tag zu genießen, da das Leben nicht ewig dauert.
„Slow Life“ und auch mal „Ich-Zeit“ – das ist mein Schlüssel. Mein Schlüssel zur Ruhe, Erholung, Glück und zum ursprünglichen „Carpe diem“. Für einen Perspektivenwechsel, der mich sowieso mehr weiterbringt, als ein vollgestopfter Tag…