Von Sergio Valletta González
Im ersten „Faszination Rap“-Beitrag bin ich vor allem auf die Grundlagen in Sachen Reime bei
Raptexten eingegangen und habe Begriffe in den Raum geworfen wie „Assonanzen“ oder
„Doppelreime“. Das ist bis jetzt alles ganz ordentlich, aber es geht noch ein bisschen ausgefeilter,
noch komplexer und (für mich zumindest) noch schöner. Wenn ihr den ersten Teil tatsächlich gelesen
habt, wisst ihr schon mehr als der gewöhnliche Raphörer, aber wenn man noch tiefer in den
Kaninchenbau geht, wird man feststellen, dass noch mehr dahintersteckt als „Substantivreime“ und
„mehrsilbige Reime“.
Kommen wir zu der in der ersten Ausgabe bereits angesprochenen Situation zurück, in welcher ich
versuche, einer Person was über Rap zu erklären. Findet die- oder derjenige dann tatsächlich einen
Reim, wird mir eine Line nach Schema F präsentiert: Ein Aufbau und eine Pointe mit einem Reim am
Ende. Ist prinzipiell nichts falsch dran, aber mal angenommen, man hört sich wieder einen
dreiminütigen Rapsong an, in welchem in jeder Zeile dasselbe Reimschema verwendet wird. Klingt
ziemlich ermüdend und erneut überhaupt nicht unterhaltsam, nicht? Oder sollte ich eventuell mal
wieder etwas an die frische Luft gehen und aufhören, mich mit so etwas auseinanderzusetzen? Naja,
ich schweife vom Thema ab, die erste Frage war natürlich rhetorisch, selbstverständlich finden wir
das langweilig. Und so bedienen sich MCs (falls ihr mit Hip-Hop gar nichts am Hut habt: MC ist die
Abkürzung für „master of ceremony“ und ist ganz grob gesagt ein Synonym für „Rapper“) auch hier
wieder verschiedener Methoden, um seine werte Zuhörerschaft zu unterhalten. Und wieder stelle
ich hier die gängigsten vor.
Bevor ich aber direkt anfange, kommt zuerst ein Umschwung zurück zum Thema des ersten Teils,
genauer gesagt zu den mehrsilbigen Reimen. Dort meinte ich, dass es bei einem solchen wichtig sei,
dass die Anzahl der Silben der zwei (oder ggf. mehr) Reimwörter übereinstimmen muss. Es ist
allerdings nicht unbedingt vorausgesetzt, dass jede Silbe eines Reimworts genau mit der
gegenüberliegenden des anderen Reimworts übereinstimmen muss. Klingt wieder sehr verwirrend,
weshalb ich auch das wieder mit einem Beispiel verdeutliche. Man nehme den folgenden Reim (die
passenden Silben sind dieses Mal grün und die unpassenden rot markiert): Autorennen – tausend
Menschen. Wie man sehen kann, stimmen das „o“ und das „e“ nicht überein bzw. sie klingen nicht
gleich und sind streng genommen nicht assonant. Das ist aber in dem Ausmaß und vor allem bei
vielsilbigen Doppelreimen nicht allzu schlimm. Man bezeichnet diese dann als „unsaubere
Doppelreime“, manchmal auch nur als „unsaubere Reime“. Es ist wichtig, das im Hinterkopf zu
behalten, da Rapper beim Verwenden komplexerer Reimschemata und -techniken (oder auch nur bei
längeren Reimen) dazu neigen, nicht ganz auf die Sauberkeit ihrer Reimtechnik zu achten.
In Sachen „Reimschema“ unterscheiden sich Raptexte nicht wirklich von Gedichten. Vom Paarreim
(also für die Deutschlaien unter euch: AABB-Reim) bis zum umarmenden Reim (= ABBA-Reim) habe
ich zumindest schon alles gehört. Es steht natürlich außer Frage, dass in einem Raptext vor allem
Paarreime vorkommen, immerhin handelt es sich dabei um das simpelste Reimschema und
außerdem ist das auch beim Zuhören besser zu verarbeiten, weil man sich wortwörtlich nicht darauf
konzentrieren muss, wo sich jetzt irgendwas in einem Lied gereimt hat. Aber auch Kreuzreime (=
ABAB-Reim) sind relativ beliebt, insbesondere in Hooks (so bezeichnet man üblicherweise den
Refrain in einem Rapsong; hook ist Englisch und bedeutet „Haken“, da eine hook dem Zweck dient,
sich im Gedächtnis des Hörers „festzuhaken“), da sie ebenfalls relativ simpel sind und sich gut für
einprägsamere Flowpassagen eignen (Flowpassage = Abschnitte in einem Song, in welchem ein
bestimmter „Flow“ durchgezogen wird; der „Flow“ eines Rappers ist grob gesagt die Art, wie dieser
über den Beat rappt). Zumal erstreckt sich ein Kreuzreim in der Regel über mehrere Lines (s.
„Faszination Rap: Reime in Raptexten, 1. Teil), womit ein Rapper verdeutlichen kann, dass diese
Zeilen zusammengehören und ggf. komplementär sind.
Eins der am häufigsten Reimschemen in einem Rapsong (neben dem Paarreim) ist jedoch der
Haufenreim (= AAAA-Reim), im Rapjargon besser bekannt als „Reimkette“. Bei einer Reimkette wird
über mehr als zwei Bars (in der Regel vier, manchmal sogar mehr; Bar = ½ Line) derselbe Reim
durchgezogen. Zum einen eignen sich Haufenreime, ähnlich wie Kreuzreime auch, hervorragend für
Hooks und Flowpassagen, aber hier spielt auch wieder Aspekt des Zurschaustellens seines großen
Wortschatzes eine wichtige Rolle. Rapper lieben es einfach, mit ihren Fertigkeiten zu prahlen,
wahrscheinlich mehr als andere Musiker in allen anderen Genres. Ein besonders gutes Beispiel liefert
hier der deutsch-kanadische Rapper Kollegah in seinem 2015 erschienen Song „Angeberprollrap
Infinity“, welchen ich an der Stelle einfach mal verlinke: https://youtu.be/tSLqVmWoFAU (die
angesprochene Reimkette geht von Minute 0:54 bis 2:40, wobei ihr sowas inzwischen natürlich selbst
erkennt, nicht wahr?).
Bleiben wir gleich ein bisschen bei Kollegahs Song, da er da auch noch mal ein weiteres formelles
Stilmittel verwendet, welches auch nicht selten in Raptexten vorkommt: der Binnenreim. Das ist im
Prinzip nichts anderes als ein Reim (oder auch nur eine assonante Silbe), der innerhalb einer Bar
mehr als ein Mal vorkommt. Bereits in der ersten Line der Reimkette des Songs bedient sich Kollegah
an dieser Methode. Zur Veranschaulichung werde ich diese Zeile im Folgenden rezitieren. Die Vokale
werden erneut rot markiert, das Ende einer Bar mit einem „/“:
Ich flieg‘ los mit exotischen, attraktiven/
Diven in modischen Pradastiefeln zu tropischen Paradiesen/
Auch Binnenreime lassen sich gut flowen (= Verb für Flow), stehen möglicherweise im direkten
Zusammenhang zur Aussage oder (wie im Beispiel) sollen einfach von der Eloquenz des Interpreten
zeugen.
Wer bis hierhin tatsächlich aufmerksam mitgelesen hat, weiß jetzt schon sehr viel rund um das
Thema Reime in Raptexten. Allerdings geht es im Rap natürlich nicht nur um Reime. Ich sage es
immer wieder, der Rapkosmos ist so gigantisch, dass dieser nicht in einem Beitrag zu umfassen ist. In
dem Sinne, bis zum nächsten Mal