Morgens, halb zehn, in Deutschland.
Rita hatte gerade 2 Stunden Deutsch hinter sich. Es dauerte 5 Minuten, bis sie alle ihre Freunde gefunden hatte. Keiner von ihnen war in ihrer Klasse, was sie höchst bedauerte.
Ihre Klasse bestand aus zickigen Mädchen und nervigen Jungs. Ihr Englischlehrer hatte den Sitzplan 4-mal ändern müssen, bis es einigermaßen ruhig geworden war.
Doch Rita wollte jetzt nicht an ihre Klasse denken. Es war schließlich Pause. Rita tauschte ihr Pausenbrot gegen Kais Banane und biss hinein.
Kai erzählte von dessen Mathelehrer, der ihre Namen immer noch nicht kannte: „Er nennt Laura immer Christina und Nele immer Laura.“ „Wer ist Christina?“, fragte Rita verwirrt. „Haben wir nicht.“ Rita schüttelte ungläubig den Kopf.
Es klingelte zum Pausenende. Rita würde nun 2 Stunden Geschichte ertragen müssen. Ob Herr Ritter ihnen wohl den Test, den sie vor 3 Wochen geschrieben hatten, zurückgeben würde?
„Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen“, erwiderte er trocken, als Kathrin ihn fragte.
Kathrin war gut darin, die Lehrer zu nerven.
„Aber Sie müssen einen Test spätestens nach 2 Wochen wieder zurückgeben!“ „Ich habe einen triftigen Grund.“ „Welchen?“
„So, jetzt werde ich erst einmal jemanden von euch abfragen!“ Damit war das Thema Testrückgabe abgehakt.
Herr Ritter pendelte seinen Stift über der Klassenliste und ließ ihn dann mit geschlossenen Augen auf einen Namen sinken. „Berta.“
Berta schreckte auf. Sie sah ihn an, als wäre er der Tod persönlich. Rita war froh nicht selbst abgefragt zu werden.
Herr Ritter stellte seine berüchtigten Fragen. Er akzeptierte nie eine ungefähre Antwort und wollte den genauen Wortlaut des Hefteintrags hören. Berta hatte ihn auswendig gelernt und ratterte ihn nun herunter.
„Falsch“, unterbrach Herr Ritter sie trocken. „Aber das stand so im Heft.“ „Kann gar nicht sein.“ „Doch!“, rief die halbe Klasse. Herr Ritter verlangte Bertas Heft und sah sich den Hefteintrag von der vorherigen Stunde an.
„Du musst das falsch verstanden haben.“ „Aber Sie haben das so an die Tafel geschrieben!“ Berta war den Tränen nahe.
Rita konnte Berta zwar nicht sonderlich leiden, aber sie tat ihr doch leid.
Marie, Bertas beste Freundin, hatte den Arm um sie gelegt. „Flüsterst du ihr etwas ins Ohr?“, rief Herr Ritter und forderte Marie auf, sich von Berta zu entfernen.
Berta sollte sich die richtige Lösung nun aus dem Stegreif erschließen. Selbstverständlich passte Herrn Ritter die Antwort nicht. „Nicht die innere, sondern die innen gelegene Streitkraft.“ „Hieß das nicht Streitmacht?“, fragte Kathrin. „Nein!“
Er fing an, mit Kathrin zu diskutieren. Normalerweise achtete Kathrin darauf, die Lehrer nicht zu beleidigen, doch bei Herrn Ritter war ohnehin Hopfen und Malz verloren und leiden konnte er Kathrin sowieso nicht.
„Und was, wenn Berta einen triftigen Grund hatte, nicht zu lernen?“ „Welchen Grund sollte es dafür geben?“, fragte Herr Ritter angriffslustig. „Welchen triftigen Grund hatten Sie, unseren Test nicht zu korrigieren?“ „Die 9d. Das sind solche Versager! Aber das ist kein Grund, nicht zu lernen!“ „Ich habe eigentlich gelernt…“, schniefte Berta. „Ach? Und wieso war dann alles falsch?“ „Alles?“ „Na ja, viel war es nicht. Du hast von Adeligen geredet, aber die waren zu dieser Zeit schon abgeschafft.“ „Aber gegen wen hat man sich dann aufgelehnt?“, fragte Kathrin. „Na, gegen die Reichen!“ „Aber Berta hat zuerst von den Reichen gesprochen, bis Sie ihr gesagt haben, es waren die Adeligen!“ „Die Adeligen haben schließlich alles besessen.“ „Ich dachte, sie wären abgeschafft…“
Herr Ritter wurde wütend: „Denkt ihr etwa, ich könnte mich auf alles konzentrieren bei dem Lehrermangel? Ich habe sieben Klassen pro Jahr zu unterrichten!“ „Und wir haben 16 Fächer pro Jahr!“ „Aber ihr müsst euch nicht auf so viele verschiedene Menschen einstellen!“ „Doch“, erwiderte Kathrin, „unser Biolehrer ist viel freundlicher als Sie.“ „Was!“ „Und in Geo dürfen wir sogar während des Unterrichts essen.“
„Ich hätte da eine andere Frage. Wie kann es eigentlich sein, dass es in der Stadt, die wir als Beispiel hatten, keine Adeligen gab, wenn sie doch noch nicht abgeschafft waren?“, fragte Rita.
„Tja, dass müsste ich erst nachschauen. Du kannst ja selbst einmal recherchieren.“ „Aber Sie müssten es uns doch beibringen. Wenn wir uns alles selbst beibringen könnten, dann bräuchten wir sie doch gar nicht mehr.“ „Kathrin…“, murrte er grimmig. „Ja?“ „Halt endlich die Klappe!“
„Aber ich hab doch recht…“
Kurzgeschichte von Ida Stierhof